Ernestinisches Kammergut im 19. Jahrhundert (IX) - Kulturlandschaft Zwätzen e.V.

Direkt zum Seiteninhalt

Ernestinisches Kammergut im 19. Jahrhundert (IX)

Historisches

_________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Nach der 1809 vollzogenen Säkularisierung der Ordensbesitzungen in Thüringen und ihrer 1815 vorgenommenen Übertragung an das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach wurde ein provisorisches Amt Zwätzen mit Liebstedt gebildet, welches schon 1816 in das Amt Jena integriert wurde. Über die Aufhebung des erst 1815 aus Deutschordensbesitz gebildeten Amtes Zwätzen mit Liebstedt und dem Übergang seiner Orte an die Ämter Weimar, Jena und Blankenhain hat Großherzog Carl August am 15. November 1815 ein Patent erlassen.

Patent vom 15. 11. 1815 ( ThHStAW )

Im Punkt 3. wurden weitreichende Folgen für die neuangeschlossene Bevölkerung genannt: "die vormaligen Commenden des deutschen Ordens, Zwätzen, Lehesten und Liebstedt mit ihren sämmtlichen Einkünften" wurden der Inbesitznahme unterworfen. Im Gegenzug gab der Landesherr seine Untertanen das Versprechen, "eine landständische Verfassung zu geben", welche ihnen staatsbürgerliche Rechte gewähren sollte. Als einziger deutscher Landesvater hat Carl August bekanntlich trotz retardierender Wirkungen der "Karlsbader Beschlüsse" von 1819 mit einer frühliberalen Gesetzgebung Wort gehalten. Mit der am 21. Oktober 1822 vollzogenen ordentlichen Wahl landständischer Abgeordneter und Stellvertreter im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach nach §. 34 trat das neue Grundgesetz über die landständische Verfassung in kraft. Für die Bürger Zwätzens und Umgebung war die neue "Staatsbürgerschaft" vor allem mit der Aufgabe alter Gewohnheitsrechte verbunden.

Porträt Carl August (um 1800)

Als die Gemeinde 1816 einen Antrag auf Erlaß der neuen Steuern und Zinsen gestellt hatte, antwortete ihr der ehemalige Deutschordensamtmann und jetzige Rentamtmann Friedrich Emanuel Lange anstelle der Landesregierung. Er argumentierte mit der Gleichbehandlung aller ernestinischen Untertanen und wies auf die Rückständigkeit ihrer Landwirtschaft hin. Er mußte ihnen auch darlegen, daß der Flur der Gemeinde nicht in die Dreifelderwirtschaft eingeteilt sei. Gewohnheitrechte würden auch insofern hinfällig sein, da es von nun an nicht mehr gestattet sei, auf "herrschaftlichem Grund" eine "Mitweide", vermutlich der Schafe, zu nutzen. In seinem Burschenschaftsroman "Eiserne Jugend" (1921) hat der Zwätzener Pfarrerssohn Paul Schreckenbach (1866-1922) Amtmann Lange als das "Idealbild eines germanischen Greises" literarische Gestalt verliehen.


Vermessungsplan Zwätzen von 1817 (ThHStAW)

Die ehemalige Deutschordenskommende wurde von nun an zielstrebig in ein großherzogliches Kammergut umgewandelt. Die gesetzliche Grundlage dazu bildete ein allerdings erst später, am 17. April 1821, durch den Großherzog erlassenes "Gesetz über die Bedeutung des Kammervermögens". Zu den Bestandteilen dieses Vermögens gehörte auch das neugebildete Kammergut Zwätzen, dessen Einkünfte in die landesfürstliche Kammer ließen und den "Bedürfnissen des Großherzoglichen Hauses und dessen Hofstaat" gewidmet sein sollten. Nach dem am 25. April 1821 erlassenen Steuergesetz des Großherzogtums waren die Kammergüter von der gewöhnlichen Grundsteuer befreit. Alle Anlagen waren wie der gesamte Grundbesitz Teil dieses grundsteuerbefreiten Kammervermögens. In den Jahren nach 1818 kam auch die alte Zwätzener Fabrik aus der Ordenszeit zu neuen Ehren. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die 1792/93 eingebaute hölzerne Wasserleitung vom Belvedere zum Römischen Haus in Weimar zu viel Unterhaltungsarbeiten verursachten, war Grossherzog Carl August darauf bedacht, die sog. "Röhrenfahrten" erneuern zu lassen. Leider fiel jedoch die Antwort des Hofmarschallamtes negativ aus. Aber schon bald sollte sich mit Hilfe des engagierten Oberbaudirektors Clemens Wenzeslaus Coudray (1775-1845) eine Lösung der Wasserversorgungsmaßnahme abzeichnen. Als Gründer der Oberbaubehörde war er für die Koordination des gesamten Wege-, Wasser- und Zivilbauwesen im Großherzogtum zuständig und erschloss permanent auch neue Quellen für die industrielle Produktion im Inland. Auf diese Weise war der oberste Beamte der Bauverwaltung des Landes auch auf die alte Fabrik aufmerksam geworden, in der man seit etwa 1770 den in Zwätzen anstehenden Bänderton zu irdenen Waren wie Krügen und Ofenkacheln, aber wohl auch schon zu Drainageröhren gebrannt hatte. Am 1. Mai 1818 weilte er, begleitet vom Landesherrn persönlich, in Zwätzen, um die Produktionskapazität der alten aus dem 18. Jahrhundert stammenden Fabrik erstmals in Augenschein zu nehmen. Das Resultat des Besuchs scheint so erfolgversprechend gewesen zu sein, dass beide bereits am 9. Mai ihre Visitation vor Ort fortsetzten. Goethe wurde von seinen eigenen Informanten von dieser erfreulichen Neuigkeit sogleich in Kenntnis gesetzt. So fand am 26. Mai eine Unterredung mit Rentamtmann Lange aus Zwätzen statt, "über den Versuch" im Zwätzener Töpferofen "thönerne Röhren zu brennen". Davon, dass die dortige Versuche erfolgreich verlaufen waren, d. h. die gewünschten Ergebnisse mit einem günstigen Kostenfaktor gebracht hatten, kündete eine Meldung des ihm unterstellten Bibliotheksmitarbeiters Weller. Dieser konnte am 10. Juli an seinen Dienstherrn nach Weimar über den geplante Einbau einer neuen "Röhrenfahrt" im Jenaer Botanischen Garten, über den Goethe als Leiter der "Oberaufsicht" verantwortlich war, und auf der Strecke zwischen Belvedere und Römischen Schloss in Weimar berichten. Nachdem im Frühjahr 1820 Goethes Interesse an "pseudovulkanischen Producten" erwacht war, nutzte er im Sommer und Herbst den leistungsfähigen Zwätzener Töpferofen für Schmelzversuche mit Mineralien. Des öfteren weilte er vor Ort, um die "dem Feuer auszusetzenden Mineralien" zu überbringen und mit dem Chemiker Döbereiner "künftige Feuerversuche" in Zwätzen zu besprechen. Leider konnte sich der weimarische Staat nur wenig Jahrzehnte an der Röhrenproduktion im Kammergut Zwätzen erfreuen, denn das dortige Vorkommen an Bänderton war bald erschöpft und man wich auf eine neu erschlossene Lehmgrube in Jena aus. Über die Aufstellung einer modernen Röhrenpresse auf dem Areal der "Böhme'schen Ziegelbrennerei" berichtete der Jenaer Landwirtschaftswissenschaftler Friedrich Gottlob Schulze (1795-1860).

Mappe Liegenschaftsamt mit den Rissen der alten Fabrik (1834)

© 2007, Dr. Thomas Pester

___________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Zurück zum Seiteninhalt